Mit dem Orient-Express in Boliviens Osten

Abenteuer abseits der touristischen Pfade

Expreso Oriental nach Roboré

Die meisten Bolivien-Reisenden bewegen sich im Westen des Landes auf dem scherzhaft genannten „Gringo Trail“. Zwischen dem Salzsee Uyuni, der Andenstadt La Paz und dem Titicacasee findet man wohl die meisten auf der Durchreise zwischen Chile und Peru. 

Wir wollten tiefer in das Land eintauchen, es in so vielen Facetten wie möglich erleben und suchten deshalb nach einem Ziel abseits des touristischen Pfades. Das Durchstöbern von Reiseführern und Internet war in diesem Fall – natürlich – nicht gerade zielführend. Also tat ich das, was ich in letzter Zeit öfter tue, wenn ich mich von einem Ort mehr überraschen lassen möchte: ich fuhr mit meinem Finger durch Google Maps auf der Suche nach irgendwas, das ins Auge stach. 

So fand ich eine alte Zugstrecke, die von Santa Cruz an die östliche Grenze von Bolivien führt. Viele Infos dazu ließen sich nicht finden – insbesondere nicht zu den Orten, die entlang der Strecke zu finden waren. Ein paar wenige Googlemaps Bilder machten allerdings einen schönen Eindruck und so war die Sache geritzt: auf ins Abenteuer – ohne Plan und ohne konkretes Ziel.

Untouristisches Bolivien Teil 1 - Geheimtipp: mit dem Orient-Express von Santa Cruz Richtung Brasilien orient-express

Mit dem „Orient-Express“ von Santa Cruz nach Roboré

Unser untouristisches Abenteuer begann schon beim Hostel in Santa Cruz, denn wir hatten beschlossen nicht per Taxi sondern mit einem „Truffi“ – so nennt man hier die Busse des öffentlichen Nahverkehrs – zum Bahnhof von Santa Cruz zu fahren. Klingt jetzt erstmal recht gewöhnlich und nicht besonders abenteuerlich – bis man die Busse dort sieht. Mitnichten gibt es Fahrpläne oder klare Aufschriften über das jeweilige Fahrtziel. Vielmehr sind die Busse mit allerhand bunten Infos in der Frontscheibe zugekleistert, so dass ein schnelles Erkennen im Vorbeifahren quasi unmöglich ist. Und schnell sein muss man, denn die Busse halten nur auf Zuruf bzw. Winken.

Von einem super hilfreichen Mitarbeiter in unserem Backpacker-Hostel in Santa Cruz hatten wir die drei Busnummern 20, 33 und 85 mit auf den Weg bekommen. Mit Adleraugen scannten wir die tausend bunten Truffis, die an uns vorbeidüsten und erspäten endlich eine der Nummern. Arm raus, Rucksäcke rein und quer durch die Stadt zum Bahnhof. Und das alles für gerade mal 2 Bolivianos pro Kopf (das sind ca. 25 Cents). Die restlichen Insassen beobachteten uns neugierig – ich glaube es verirren sich nicht oft Reisende in diese Busse.

Am Bahnhof angelangt kauften wir uns Zugtickets für ca. 6 Euro mit „Ferroviaria Oriental“ nach Roboré, das etwa auf zwei Dritteln der Strecke zwischen Santa Cruz und der Grenze nach Brasilien liegt. Ein bisschen Zeit bis zur Abfahrt blieb noch und so gönnten wir uns noch leckere Empanadas am kleinen Markt gegenüber des Bahnhofs. Wenig später fuhr der orangefarbene Zug bimmelnd in den Bahnhof ein, den er vor zwei Tagen verlassen hatte. Der „Expreso Oriental“ fährt nämlich einen Tag und eine Nacht zur Grenze nach Brasilien und von dort wieder zurück nach Santa Cruz. 

Pünktlich auf die Sekunde um 13:20 Uhr (wann bin ich jemals so pünktlich mit einer Bahn losgefahren?) setzte sich der Zug in Bewegung – und zwar offenkundig direkt zum Karneval in Rio. Passend zur Endhaltestelle wurde auf den Bildschirmen über unseren Köpfen nämlich in ohrenbetäubender Lautstärke südamerikanischer Salsa mit knapp bekleideten Tänzerinnen gespielt. 

 

Eine Fahrt mit dem Expreso Oriental

Der Expreso Oriental hat übrigens wirklich nicht viel gemeinsam mit dem Luxuszug Orient-Express. Weder hat das Landschaftsbild Ähnlichkeit mit dem Orient, noch könnte man die Geschwindigkeit des Zuges auch nur ansatzweise als „expreso“ bezeichnen. Vielmehr schaukelt der Zug ganz gemächlich vorbei an Wiesen, Feldern, und staubigen Straßen. Und schaukeln ist in diesem Fall absolut wörtlich zu nehmen. Die Sitze des Expreso Oriental sind dabei so extrem gefedert, dass auf jeder Unebenheit in den Gleisen ca. 10 Hüpfer des Sitzes folgen – jeder mit einer Amplitude von bestimmt 10 Zentimetern. Man kann sich denken was passiert, wenn alle paar Meter eine Unebenheit wartet: es hört eigentlich gar nicht mehr auf zu wippen. Aber alles halb so schlimm, denn die Sitze sind so bequem und weich, dass es keine blauen Flecken auf dem Gesäß gibt. 

Während das „On-Board-Entertainment“ so langsam von der südamerikanischen Version des ZDF-Fernsehgartens zu Actionstreifen mit Dolph Lundgren wechselte und die Sonne in unserem Rücken über dem Gleisbett unterging, wurde es Zeit für’s Abendessen und die Mission „Vor-zum-Speisewaagen-laufen“. Von rechts nach links torkelnd arbeiteten wir uns Sitzreihe für Sitzreihe nach vorn, in der stetigen Hoffnung, niemandem auf den Schoß zu plumpsen. Irgendwann erreichten wir stolz das Ende unseres Wagens, bereit in den nächsten zu wechseln. Doch wie in einem wilden Western-Film wartete nur ein sehr schmaler und wackeliger Übergang zwischen den beiden Waggons – ohne Geländer. Plötzlich kam uns der Zug doch ganz schön „expreso“ vor und es schaukelte so sehr, dass ich nicht einmal wagte eine Hand für ein Foto zu lösen. 

Wir erklärten die Mission für gescheitert und schwankten zurück auf unsere Sitze. An der letzten Haltestelle hatten wir zum Glück von einer der „fliegenden Händlerinnen“ (ältere Frauen, die im Zug Orangen, Brötchen und Nüsse verkauften) eine Kleinigkeit zu essen gekauft – verhungern sollten wir also nicht. Wir sollten allerdings trotzdem noch zu unserem Speisewaagen-Essen kommen… 

Der bolivianische Orient-Express ist vielleicht kein Luxus-Zug, aber es gibt einen Steward – wie im Flugzeug! Der junge Kerl kam irgendwann auf uns zu, setzte sich auf den freien Sitz auf der anderen Seite des Ganges und fing an mit uns zu plaudern. (Genau genommen mit meinem liebsten Reisebegleiter, denn ich konnte vor der Reise kaum ein Wort Spanisch sprechen und fing gerade erst an es halbwegs zu verstehen). Er war offenbar sehr neugierig, was uns hier in diesen Zug verschlagen hatte, denn Touristen sah man dort nicht häufig, wurde der Expreso Oriental doch eigentlich nur von Bolivianern oder Brasilianern als Fortbewegungsmittel genutzt. Irgendwann fragte er, ob er uns etwas zu Essen bringen dürfe. Wir hatten vorher schon beobachtet, wie er dem ein oder anderen unserer Mitfahrer eine Plastiktüte in die Hand drückte, also schien das zu seiner Steward-Tätigkeit dazuzugehören. Wenige Minuten später – er muss ein Ninja sein, dass er in der kurzen Zeit einmal durch den Zug und zurück gelaufen ist – kam er zurück und servierte unser Abendessen: Hühnchen mit Reis und Pommes für ca. 1,50€ pro Kopf (es sollte vorerst nicht das letzte sein, aber dazu später mehr). 

Der Zug zuckelte durch die Dunkelheit, wir hatten noch einige Stunden Fahrt vor uns und ich zog mir in einer waghalsigen Aktion auf der Bordtoilette wärmere Kleidung an. Mit Stöpseln in den Ohren drangen Dolph Lundgrens Schüsse nur noch dumpf zu mir durch und zusammengerollt auf dem recht breiten Sitz ließ ich mich vom Orient-Express in den Schlaf wippen…

Ankunft in Roboré

00:20 Uhr. Nach elf Stunden Dauerschaukeln erreichen wir den Bahnhof in der winzigen Stadt Roboré. Nun kann das Abenteuer so richtig beginnen – wir haben nämlich keine Unterkunft reserviert. Im Internet hatten wir nur zwei eher teure Hotels finden können und nachdem uns ein Hostel-Mitarbeiter den Rat gegeben hatte, dass die meisten Unterkünfte in Roboré nicht online sind, vertrauten wir auf unser Glück und ließen es drauf ankommen. 

Jetzt, mitten in der Nacht und mitten im Nirgendwo Boliviens, kam uns diese Idee plötzlich ziemlich verrückt und dämlich vor. Während wir aus dem Bahnhofsgebäude, das aus einem Westernfilm entsprungen sein könnte, auf die staubige Straße traten, schätzte ich unsere Chancen auf ein Bett auf unter 5%. Der Bahnhof liegt etwa 1,5 Kilometer entfernt vom Zentrum und so schulterten wir unsere Rucksäcke und machten uns auf einen Marsch durch die Dunkelheit gefasst. 

Doch manchmal soll das Glück einfach größer sein, als man denkt und so entdeckten wir bereits nach wenigen Schritten ein leuchtendes Hotel-Schild in knapp 100 Metern Entfernung. Im Erdgeschoss befand sich ein kleiner, für Bolivien ganz typischer Laden, der ein rieses Sammelsurium an Kram hat, ohne dass ein bestimmtes System dahinterstehen würde (ein bisschen also, wie die „Baumarkt“-Kette Clas Ohlson…). In dem kleinen Familienbetrieb herrschte noch reges Treiben und für knapp 9 Euro die Nacht bekamen wir ein Zimmer in der ersten Etage. Das Zimmer war in etwa so luxuriös wie der Orient Express, aber in dem Moment war es der Himmel auf Erden. Am Ende des Flurs warteten bereits ein kleiner Balkon, zwei Plastikstühle und ein Blick auf den Bahnhof auf uns. Ein perfekter Ort für ein Bierchen aus der „Hotel-Bar“ im Erdgeschoss.

Am nächsten Morgen fand ich mich vor einer neuen Herausforderung. Man muss dazu wissen, ich wache eigentlich immer super früh auf – viel früher als mein liebster Reisebegleiter – und brauche dann einen Kaffee. Und zwar pronto! Da ich auf dieses morgendliche Ritual auch nicht mitten im entlegendsten Örtchen von Bolivien verzichten mochte, tapste ich barfuß hinunter zum Laden. Problem: die Familie verstand kein Wort Englisch und ich hatte auch nicht plötzlich über Nacht Spanisch gelernt. 

Aber mit Händen, Füßen und Google-Übersetzer schaffte ich es irgenwie, nicht nur Instant-Kaffee, sondern sogar einen Becher mit heißem Wasser zu organisieren. Nicht ganz ohne Stolz schlürfte ich das feine Gesöff auf dem Balkon und wartete gespannt, was wir in dem Ort alles so entdecken würden. 

Orientierung ohne Reiseführer

Später am Vormittag stiefelten wir zum Zentrum von Roboré. Wie fast alle Städte Südamerikas, ist auch Roboré ganz klassisch aufgebaut: eine Kirche mit hübschem Platz in der Mitte und rings herum die Wohnhäuser. Das macht das Finden des Zentrums zum Glück auch ohne Reiseführer und Spanischkenntnisse recht einfach.

Am Hauptplatz angelangt, entdeckten wir sogar ein Tourismus-Info-Häuschen (Touristen begegneten wir allerdings in der ganzen Zeit nicht einmal), wo wir eine Infobroschüre zu den sehenswerten Spots von Roboré und in der Umgebung erhielten. Ausgestattet mit dem (auf den ersten Blick) sehr guten Infomaterial, suchten wir nach einem Laden für Frühstück. Nachdem wir sämtliche Restaurants bzw. Imbisse rund um den Platz abgeklappert hatten war klar: hier gibt es nur ein Gericht. Hühnchen mit Reis und Pommes. Guten Appetit. 

 

Highlights Roboré – und wie man dorthin gelangt

Während sich Huhn Nummer zwei zu Huhn Nummer eins aus dem Zug gesellte, wählten wir die hübschesten Spots aus der Broschüre aus und machten einen Plan: erst mit dem Auto zum „Totaizales“ und der „Cascada de los Helechos“, später dann zum „Chorro de San Luis“ und zu guter letzt am Abend zur „Laguna Sucuará“. Laut Infomaterial wären das insgesamt 2 Stunden Fußweg und knapp 17 Kilometer Autofahrt. Ob One-Way oder Hin und Zurück war nicht so ganz klar. Aber so oder so, es wäre machbar. Dachten wir…

Als wir auf die Horde Taxifahrer, die gemütlich auf einer Parkbank im Schatten sitzend auf Kunden warteten (auch hieran merkt man, dass die Gegend ziemlich untouristisch ist: die Taxifahrer rennen nicht auf dich zu um dich als Kunden zu gewinnen) zugingen, löste sich unser hübscher Plan leider in Luft auf. Sämtliche Fahrer schüttelten schlichtweg den Kopf, als wir auf die jeweiligen Orte der Infobroschüre zeigten. Irgendwann verstanden wir dann auch, was sie versuchten uns zu erklären: die Straße zu den jeweiligen Startpunkten der Wanderungen war für Autos nicht befahrbar. Nur für Jeeps. Und – Überraschung – einen Jeep hatte gerade keiner parat. 

Wir versuchten unser Glück daraufhin bei zwei Motoradtaxifahrern, die uns immerhin ein Stück fahren würden. Ohne groß zu fragen wie weit und wo genau sie uns dann absetzen würden, sprangen wir hinten auf und düsten über die staubige Huckelpiste aus dem Zentrum heraus. Wenige Minuten später hielten die beiden an einem Schild an, das immerhin auf eines unserer Wunschziele, den Totaizales hinwies. Dass wir die veranschlagten 6 Kilometer Autofahrt bei weitem nicht zurückgelegt hatten, war uns bereits zu dem Zeitpunkt klar, aber wie weit es nun noch zum Ziel sein würde, blieb ein Geheimnis. Aber was soll’s, auf ins Abenteuer. 

Film zum Abenteuer Ostbolivien

Alle drei Teile zum Abenteuer abseits des Tourismus als Film: mit dem Orient-Express von Santa Cruz nach Roboré, Wanderung zum Wasserfall “Totaizales” und Sonnenuntergang am einsamen See, hinauf zum Aussichtspunkt in Santiago de Chiquitos und durch die Jesuitenmission San José de Chiquitos. 

Praktisches und Nützliches